Psychologie der E-Mail

Stärken und Tücken des elektronischen Briefverkehrs

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E-Mail ist einfach und schnell. Falsche Verwendung kann jedoch schnell zu Missstimmung im Büro führen. Eine vom Organizerhersteller Palm in Auftrag gegebene Studie des ehemaligen Oxford-Professors Dr. Peter Collett will Abhilfe schaffen. Allerdings berücksichtigt sie selbst nicht alle Aspekte.

E-Mail ist noch am ehesten mit dem Fax zu vergleichen. Sie ist schnell, aber schriftlich. Der Vorteil von E-Mail: Man wird nicht in der Arbeit unterbrochen wie am Telefon und muss sich auch nichts auf Zettel notieren, die man mal eben schnell zur Hand nimmt und nachher nicht mehr wieder findet, weil man beim Anruf in Gedanken noch bei dem gerade bearbeiteten Projekt war und vielleicht nur mal schnell die Rückseite eines von einem ganz anderen Thema handelnden Papiers beschriftet hat. E-Mail ist normalerweise im Mailprogramm gelagert und kann dort schlimmstenfalls nach einem Stichwort durchsucht werden, wenn sich eine Mail besonders hartnäckig versteckt. Ein weiterer Vorteil: Man kann direkt auf einzelne Sätze eingehen, diese zitieren und seine Antwort darunter schreiben, statt eine Antwort langwierig neu formulieren zu müssen.

E-Mail ist höflicher als ein Anruf, auch wenn sie für den nur normal tippfähigen Absender zunächst einmal mehr Arbeit darstellt, als den anderen einfach mit halbfertigen Gedanken am Telefon zu behelligen. Dies relativiert sich allerdings dadurch, dass der Vorgang mit dem Absenden der E-Mail zunächst einmal erledigt ist – sofern der andere sie auch lesen wird, versteht sich – während man durchaus Stunden damit zubringen kann, einem vielbeschäftigten Menschen auch für eine einfache Frage hinterherzutelefonieren.

E-Mail ist höflicher – wenn sie denn höflich ist

Der Nachteil: Wer schreibt, bleibt – was man schreibt, bleibt auch. Ist die E-Mail unhöflich formuliert, so wird dies beim Empfänger noch wesentlich mehr als ein unhöflich aufgeknalltes Telefon in Erinnerung bleiben. Es gibt emotional gesteuerte Charaktere, die ihre Kollegen und Untergebenen vorzugsweise mit 120 Phon adressieren und sich aus gutem Grund von E-Mail fernhalten, selbst wenn sie Chefredakteure großer Computerzeitschriften sind. Es gibt andere, die nicht so viel Selbsterkenntnis besitzen, nachts um 2 in Mails übermüdet oder besoffen mit Fäkalausdrücken um sich werfen und sich dann wundern, dass der Mitarbeiter ihnen am nächsten Morgen die Zusammenarbeit aufkündigt.

Zudem gibt es Menschen, die am Computer alle Hemmungen bezüglich sozialen Benehmens fallen lassen und sich anonym fühlend – sie "reden ja nur mit einem Computer" und vergessen den Menschen am anderen Ende – regelrecht "die Sau rauslassen". Vorzugsweise findet sich diese Spezies in Foren und Mailinglisten, doch mitunter eben auch beim persönlichen E-Mailen.

E-Mail ist ein Dialog ohne Körpermimik und nicht in Echtzeit

Natürlich beruhen solche Ausfälle mitunter auch auf Missverständnissen. Im Gegensatz zu einem persönlichen Gespräch oder auch Telefonat merkt man beim Mailen nicht rechtzeitig, wenn die Stimmung kippt. Es fehlt an der Interaktivität eines Gesprächs. Man schreibt schnell aneinander vorbei. Eine Hotline bekommt immer wieder dieselben Fragen gestellt, die auf der Website eigentlich genau drei Zeilen über dem Kontaktformular beantwortet werden, der Kunde ist vergrätzt, wenn er dies – auch höflicher formuliert – als Antwort bekommt. Ebenso sorgt es für Missstimmung, wenn die Hotline mit Standardtexten kontert, die nicht wirklich auf die Frage eingehen.

Alles, was schriftlich ist, hat zudem den Nachteil, dass es – auch wenn dies ein absoluter Verstoß gegen die Benimmregeln ist – weitergegeben werden kann. So besteht die Gefahr bei jedem Liebesbrief, dass dieser von der Angebeteten zur allgemeinen Erheiterung all ihren Freundinnen in der Schule gezeigt wird – oder dass ihre Verwandten den Packen Briefe des berühmten Autors mit ausführlichen Beschreibungen sexueller Vorlieben bei seiner langjährigen Partnerin nach ihrem Tode finden und meistbietend bei Sothebys in London versteigern lassen.

Gefahr: Weiterleiten vertraulicher Briefe

Doch ebenso kann dies mit gewöhnlichen Geschäfts-E-Mails geschehen, die von missgünstigen Kollegen nur teilweise zitiert oder gar verfälscht dem Chef weitergereicht werden mit dem Kommentar "schau nur, was der Neue für ein Depp ist". Und leider besteht in Deutschland natürlich auch die Gefahr, dass sich jemand auf dem Rechtsweg die E-Mail-Adresse eines anderen einklagt, meist über Marken- oder Namensrecht; von technischen Pannen beim Provider ganz abgesehen, die den Mailfluss innerhalb einer Minute zu einer völlig unbeteiligten Person umlenken können.

Auch ist nicht jeder Kommunikationspartner E-Mail-tauglich. Jeder hat sein bevorzugtes Kommunikationsmedium. Der eine telefoniert lieber, weil er den menschlichen Kontakt schätzt oder sich aufplustern will, der andere hat es lieber auf Papier, um sich darin Notizen zu machen, der dritte schätzt gerade, dass ihm Mails nicht den Schreibtisch mit Papierhaufen verstopfen, wird vom Chef jedoch prompt als einer eingestuft, der nichts tut, weil er in der Zeit 30 Mails schreibt, in der der eine Kollege mit einer Kollegin aus der Nachbarabteilung eine Stunde am Telefon hängt und der andere vier seiner berüchtigten Hausmitteilungen verfasst. Wer einem E-Mail-Muffel elektronisch schreibt, der das Medium nicht mag und nicht damit umgehen kann, braucht sich nicht wundern, wenn er keine Reaktion bekommt.

Die sieben E-Mail-Sünden

Schließlich ist E-Mail auch nicht optimal für wirklich dringende Dinge. Will man vernünftig arbeiten, so wird man ja gerade nicht alle 2 Minuten nach der Mail sehen oder sich gar vom E-Mail-Programm mit Dialogbox und Geräusch auf jeden Brief einzeln hinweisen lassen, sondern nur in Kaffeepausen und ansonsten halt nur ein paar Mal am Tag in den Briefkasten sehen. Auf Dienstreisen ist es mit der Mail normalerweise sogar völlig vorbei. Braucht man also eine sofortige Antwort – und sei es "Herr Müller ist nicht da", ist der Griff zum Telefonhörer sinnvoller.

Natürlich bietet der Organizerhersteller Palm als Abhilfe für E-Mailer auf Reisen Smartphones und PDAs an, mit denen der gestresste Manager notfalls auch noch auf der Bahnhofstoilette von Wanne-Eickel auf sein Mailpostfach zugreifen kann. Ob das jedoch wirklich als Komfortgewinn oder eher als zusätzlicher Stressfaktor empfunden wird, ist eine andere Frage: Mobil mailen ist mit Winztastatur oder gar nur Stift bewaffnet schließlich längst nicht so einfach wie mobil telefonieren und die Ruhe, sich eingehend mit dem Mailpostfach zu beschäftigen, hat man auf Reisen üblicherweise auch nicht.

Die Palm-Studie sieht nun folgende sieben Mail-Hauptprobleme:

1. Übersehen und Ignorieren von Mails

79 Prozent der europäischen E-Mailer müssen öfters noch mal nachhaken, wenn sie eine Antwort auf ihre E-Mails wollen, besonders schlimm ist dies in Italien. 25 Prozent müssen dies gar bei mehr als der Hälfte ihrer gesendeten E-Mails tun. Umgekehrt klagt einer von 10 Umfrageteilnehmern über durch Spam und Desorganisation erzeugte und dermaßen überwältigende Mailmengen, dass schon rein zahlenmäßig keine Zeit bleibt, wirklich alle Nachrichten zu lesen, geschweige denn zu beantworten. Mehr als einem Fünftel der Teilnehmer in Großbritannien und Spanien graut davor, nach einer Abwesenheit wieder an den Arbeitsplatz zu kommen, weil sie genau wissen, welcher Berg von E-Mails dort auf sie wartet.

Zu viele Personen glauben allerdings, dass es völlig in Ordnung ist, nicht auf E-Mails zu antworten – und bedenken dabei nicht, dass sie womöglich eine Geschäfts- oder andere Beziehung dabei schädigen.

2. Abstreiten, eine bestimmte E-Mail erhalten zu haben

Durch die inzwischen unumgänglichen Spamfilter bleiben zwar tatsächlich immer öfter E-Mails auf der Strecke. Doch bis zu 11 Prozent der Teilnehmer gaben zu, gelegentlich wissentlich falsch zu behaupten, eine E-Mail nicht erhalten zu haben. Der Empfänger erweckt so immerhin den Eindruck, dass er den Absender wirklich wichtig nimmt.

Das Problem ist nur, dass wir in der Regel misstrauisch werden, wenn jemand behauptet, eine E-Mail nicht erhalten zu haben: Die E-Mail ist in unserem Ausgangsordner und wir haben auch keine Fehlermeldung bekommen. So entsteht Misstrauen und die Beziehung kann untergraben werden. Besser ist es daher, eine wichtige E-Mail zumindest kurz zu bestätigen oder lieber ehrlich zuzugeben, dass man noch nicht zum Lesen gekommen ist.

3. Von sich auf andere zu schließen und anzunehmen, dass jeder die E-Mails liest

27 Prozent der Teilnehmer sind verärgert darüber, dass wirklich wichtige E-Mails ohne weitere Vorankündigung wie beispielsweise mit einem Telefongespräch versendet werden. Abgesehen von dem Fall, dass der Empfänger gar nicht am Schreibtisch sitzt, sondern beispielsweise in einer Konferenz, ist es bei der Anzahl der gesendeten E-Mails und der massiven Spammerei unmöglich, allein aus dem Betreff auf die Bedeutung der Nachricht zu schließen.

Private und irrelevante E-Mails sehen oft genau so aus wie dringende und wichtige Nachrichten, Werbemails (Spam) sind sogar meist als besonders wichtig gekennzeichnet. Alle Angelegenheiten am Arbeitsplatz werden schließlich als "wichtig" erachtet, unabhängig davon, ob sie es wirklich sind oder nicht. Und durch den eingebauten "Beunruhigungsfaktor" tragen E-Mails noch stark zu dieser falschen Prioritätensetzung bei.

4. Romane statt kurzer Mails

Fast ein Fünftel der Mitarbeiter beschwert sich über zu lange E-Mails, in denen erst mühsam nach relevanten Informationen gesucht werden muss. Dies ist am stärksten bei Angehörigen des oberen Managements der Fall – und sie leiden am meisten darunter. Viele Menschen freuen sich zwar über lange, ausführliche private E-Mails von Freunden, aber nicht über langatmige Geschäftsschreiben.

Solche langen E-Mails sind zeitraubend und schaffen beim Leser unbewusst das Gefühl, in einer untergeordneten Position gegenüber dem Schreiber zu stehen, also einem anderen "zuhören" zu müssen, der eine bedeutendere Stellung einnimmt als der Leser selbst.

5. Kopien ans ganze Haus

Das Versenden einer E-Mail an alle möglichen Empfänger und das Senden einer Kopie an Personen, die kein Interesse am Inhalt haben, führt zum Ignorieren der Mail, auch wenn man der eigentlich gemeinte Adressat ist. Mehr als ein Viertel der Teilnehmer sind frustriert, weil sie ohne Grund eine Kopie von E-Mails erhalten, die nicht relevant für sie sind und 30 Prozent der Angehörigen des oberen Managements geben an, dass Mail-Bombardements ein echtes Problem für sie sind.

Mancher Mitarbeiter will sich mit dem Chef im CC: jeder Mail absichern, damit dieser auch sieht, was er tut, andere wiederum denken nicht nach und schreiben sinnlose Mails wie "im Damenklo im 3. Stock brennt noch Licht – bitte ausschalten", "im Kühlschrank der Geschäftsleitung Fachzeitschriften steht eine verschimmelte Schale Erdbeeren, das ist eine unverschämte Schlamperei" oder "die dreckige Pfanne in der Küche in der Filiale in der Ohmstraße spüle ich aber nicht ab!" gleich mal eben an den ganzen Konzern inklusive einiger externer Mitarbeiter, von den notorischen Kettenmails ganz zu schweigen.

Wenn eine Sache wirklich wichtig ist und getan werden muss, sollte man also einen Empfänger gezielt ansprechen, statt gleich zehn Kollegen anzuschreiben – in letzterem Fall bestehen gute Chancen, dass jeder annimmt, ein anderer mache es.

6. Grammatik- und Rechtschreibfehler, unzusammenhängende Argumente, verworrene Formulierungen

Zwar muss eine E-Mail nicht so perfekt sein wie ein ausgedruckter Brief. Ab einem bestimmten Maß von Fehlern, vor allem, wenn diese auch noch das Verständnis erschweren, geht eine zu laxe Tipperei jedoch nach hinten los: 81 Prozent der Teilnehmer stehen E-Mails ablehnend gegenüber, die schlecht formuliert sind und Rechtschreib- und Grammatikfehler enthalten, 41 Prozent der Teilnehmer im oberen Management nehmen unordentliche, schlecht formulierte E-Mails sogar besonders übel. Diese Personen sind davon überzeugt, dass solche E-Mails auf Faulheit und sogar auf Geringschätzung hindeuten. Auch Chatsprache geht im Geschäftsleben nach hinten los.

7. Im Ton vergriffen

So nervig zu lang salbadernde Mails sind, so kommt der Kasernenhofton doch ebenso wenig gut an: Einer von 10 Teilnehmern räumte ein, dass kurze, eher schneidend formulierte E-Mails, bei denen sich der Absender nicht die Mühe macht, den richtigen Ton zu treffen, unbeabsichtigt den Geschäftsbeziehungen schaden können, 23 Prozent der Teilnehmer in Deutschland und 14 Prozent in Großbritannien erklärten, dass schon einmal Streitigkeiten mit Kollegen oder externen Personen entstanden, weil sie den Inhalt der E-Mails falsch aufgefasst hatten.

Auch wenn es seit Jahren im Netz arbeitenden Menschen schwer fällt, sollte man sich in der Antwort an den Stil der Absendermail anpassen. Wenn diese mit "Sie" und "Sehr geehrter Herr" geschrieben ist, kommt "Hi" und "Du" in der Antwort nicht so gut. Umgekehrt sollte man auch gegenüber seinen Mailpartnern toleranter sein. Erhält man eine ärgerliche oder beleidigende E-Mail, ist es besser, nicht zurückzuflamen, sondern lieber anzurufen, um die Lage zu klären. Ebenso sollte man sich das Antworten in gereizter Stimmung verkneifen.