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Anredeformen im Büro Für dich immer noch Sie

"Du, Chef?" - "Mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch!" Anreden sind im Beruf nicht nur eine Formalie, sondern Ausdruck der Firmenkultur. Die deutsche Arbeitswelt wird informeller und ein wenig angelsächsischer. Denn immer seltener gilt: Du kannst ruhig Sie zu mir sagen.
Vereidigung von Joschka Fischer (r.), 1985: Er brachte "Sie Arschloch" in die Parlamente

Vereidigung von Joschka Fischer (r.), 1985: Er brachte "Sie Arschloch" in die Parlamente

Foto: picture-alliance / dpa

"Wenn jemand Sie zu mir sagt, ist das für mich eine Beleidigung", sagt Stefan Lust vor fast zehn Jahren in einem Interview mit dem "Tagesspiegel". Und sein Freund Erkan Moosleitner: "Wenn du mich sexy findest, kannst du Du sagen." Eine einfache Regel, aber das Comedy-Duo Erkan und Stefan beendet das Gespräch ja auch mit "Danke disch."

Für ein Du im Geschäftsleben muss man kein Grammatik-Genie sein wie die beiden Witzfiguren. In weiten Teilen der Berufswelt ist die Anrede auf dem Vormarsch, nur wenige bestehen aus Prinzip auf dem Sie. Knapp 24 Prozent der Arbeitnehmer finden die informelle Ansprache angemessener, 61 Prozent machen die Wortwahl vom Einzelfall abhängig. Das geht aus einer Umfrage des Portals Stellenanzeigen.de hervor. Demnach gibt es wenige Befragte, die aus Überzeugung siezen und ein Du am Arbeitsplatz als unprofessionell empfinden. Das geben nur 15 Prozent an.

Nach Mischformen, etwa dem Hamburger Sie wurde allerdings nicht gefragt. Dabei wird ein Kollege zwar mit dem Vornamen angesprochen, aber gesiezt, so wie das der Vorzeigehanseat Helmut Schmidt etwa mit seinem Traumkanzler Peer Steinbrück macht. Unter Handwerkern ist der Höflichkeitsplural verbreitet, bei dem Kunden mit Ihr angesprochen werden, selbst wenn nur ein Kunde anwesend ist: "Wollt ihr, dass wir eure Terrasse gleich mitkärchern?"

"Mit Verlaub, Herr Präsident..."

Bei Stellenanzeigen.de, wo man gut 1000 Nutzer nach ihren Anrede-Vorlieben befragte, sieht man den Einfluss des Englischen als wichtigsten Grund für den Siegeszug des Informellen. Die Anrede you deckt alle Grade der Vertrautheit ab, wird im Deutschen aber gern mit du übersetzt. Außerdem spricht man sich im Geschäftsleben meist gleich mit Vornamen an, ohne dass dafür große persönliche Nähe nötig wäre.

Auch die lockere Unternehmenskultur in vielen Start-ups und Software-Unternehmen mag ihren Teil beitragen: Wer die Kaffeepause gemeinsam im Bällchenbad verbringt, kann sich ruhig duzen. Zwar gibt es auch in dieser Branche Ausnahmen. Ein IT-Gründer der neunziger Jahre fürchtete, dass seinen Mitarbeitern beim Du auch Ausfälligkeiten leichter über die Lippen kommen - und blieb beim Sie.

Allerdings kann man auch unterhalb der Gürtellinie formvollendete Anreden pflegen. Ein bekanntes Beispiel ist Joschka Fischer, der sich über den Bundestagsvizepräsidenten Richard Stücklen echauffierte. Damals, 1984, empörte er die bundesdeutsche Öffentlichkeit mit dem Satz: "Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch."

Fast eine kleine Kulturrevolution war die Entscheidung der Team Bank in Nürnberg vor fast fünf Jahren, als sie flächendeckend das Du einführte - ausgerechnet im steifen Finanzsektor. Der Übergang wurde von langer Hand vorbereitet, zunächst auf freiwilliger Basis und mit Trainings in so genannten Teamcamps. Gleichzeitig verschwanden alle hochtrabenden Titel von den Visitenkarten, die nur noch den Namen und die Kontaktdaten tragen sollten. Der Vorstand stellte schon damals klar: Mit Respektlosigkeit und Kumpanei habe das Pflicht-Du nichts zu tun, sondern mit "Professionalität im Sinne des englischen You."

mamk

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